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Mein Röpergraben

Röpergraben 14. wo? Röpergraben 14! Wo is´n das? In Steele! Wo? In Steele! Aha, wo is´n das? Bei Essen, Hä?

Spätestens wenn man Nordrhein-Westfalen verlassen hatte musste ich mich oft mit solchen Frage-Antwort Spielchen auseinander setzen. Das war in Rengsdorf so, während der „Kinderlandverschickung“, in Bielstein so und in Nideggen – wo mich Klassenfahrten hingeführt hatten, in Pfadfinderlagern und auch in späteren Berufsjahren. Ich habe mich immer geweigert Essen-Steele als Geburtsort anzugeben. Warum? Isso! Viel mehr als meine frühe Kindheit und meine Lehre hatte ich ja in Steele nicht verbracht, warum also immer noch Steele? Den Röpergraben gibt es schon ewig nicht mehr, Platt gemacht für ein Luftschloss namens Wertheim und an Steele erinnern nur noch ein paar Gebäude, Straßen und alte Bilder. Also warum? Ganz ehrlich, keine Ahnung! Vielleicht ist es die Erinnerung an Stolperpflaster, Abwasserrinnen, Plumpsklo und Zinkbadewanne oder an die Musik die vom Amboss in der Schmiede am Scheidtmanntor herrührte oder an den Geruch von Leder, Gummi und Klebstoff in der Schusterwerkstatt gegenüber der kleinen Kneipe. Es könnte aber auch … . Erstaunlich, als ich mich im Internet umtat um ein paar Hintergründe nachzuforschen und auch um meine Erinnerungen zu prüfen, fiel mir auf das ich nicht alleine bin. Außer, dem leider inzwischen verstorbenen, Karl Hansmann, den ich gefunden habe weil er in seinem Buch „Ein altes Haus packt aus – von Hölzken op Stöcksken“ zweimal „Röpergraben“ erwähnt hat, gibt es viele andere Steelenser die ihre Heimatstadt nicht vergessen können. Es muss wohl doch an Steele liegen.

Röpergraben 14, ein altes Fachwerkhaus im oberen Teil des Röpergraben beherbergte die ganze Familie, Großeltern, zwei Tanten, drei Onkeln (Onkels?) der Vierte war noch in britischer Kriegsgefangenschaft, meine Mutter und mich. Vater gab es nicht, hatte wohl was mit dem Krieg zu tun. Diese Begründung war auch noch viel später zu hören aber Ende der 40er Anfang der 1950er doch recht Häufig.

Die Nummer 14 ist das hintere der beiden Häuser. Hinter dem Fenster rechts außen schliefen meine Onkeln, hinter dem Fenster im Dach die „Mädels“. Das Fenster unten links gehörte zur Wohnung in dem kleineren Haus. Rechts vor dem Haus lag die Einfahrt zu einer Lagerhalle, dazwischen führte der Röpergraben weiter, grobe Richtung Bahnhof West, vor dem kleinen, querstehenden Fachwerkhaus links an der hinteren Querseite 


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Legende:
1: Röpergraben; 2: Steeler Straße; 3: Krayer Straße; 4 : Scheidtmanntor;
5: Humannstraße; 6: Isinger Tor; 7: Ahestraße; 8: Graffweg; 9: Kirchspiel;
10: Kaiser-Wilhelm-Straße; 11: Hansastraße; 12: Brinkerplatz; 13: Kaiser-Wilhelm-Platz; 15: Kaiser-Otto-Platz; 16: Bahnhof Steele West; 17: Fürstin-Franziska-Christine-Stift;
18: Trinkhalle mit Bedürfnis; 19: Büdchen Wiehe; 20: Klinthammers Schmiede mit Wohnhaus; 21 : Schumacher Werkstatt; 22: Wohn-und Geschäftshaus mit Gaststätte (in dieser stand zur WM 1954 ein Fernsehgerät); 23: Kältetechnik (Ate?); 24: Wiehes Wohnung, Schreibwarenladen; 25: Wohn- u. Geschäftshauser, das obere ausgebombt, an der Ecke zum Brinkerplatz eine Gaststätte; 26: Wohn u. Geschäftshäuser, an der Ecke zum Röpergraben Annemie`s Union-Kneipe; 27: Toto-Bude; 28: Fahrrad Reimann; 29: Milch u. Molkereiwaren, Kurzwaren?; 30: Metzgerei; 31: Damenfrisör; 32: Elektro-Velten-Emden; 33: Sparkasse u. Schreibwarenladen; 34: Frisör; 35: Lebensmittelladen – Schürmann?; 36: Eisdiele Kemmerling; 37: Albrecht; 38: Eckgeschäft; 39: Spedition Gebr.Helff; 40: Bedürfnisanstalt; 41: Obst und Gemüse Bieringer; 42: Neubau mit Schnellimbiss (Currywurst); 43: Wacholderstübchen; 44: Gaststätte u. Schuhgeschäft?; 45: Drogerie Schmitz; 46: Metzgerei Kappert; 47: Blumen laden und weitere; 48: Zigarettengeschäft (Schasiepen?) ; 49: Cafe Röcken?; 50: –; 51: Drogerie/Apotheke?; 52: St. Laurentius;

unseres Hauses vorbei. Da wo das Haus zu Ende war stand wieder ein Gebäude ,eine Lagerhalle oder eine LKW-Garage, also davor wieder rechts, nach einigen Metern ging es nur rechts oder links weiter. Rechts konnte man bis zu einer kleinen, grünen Totobude gehen, dann war Schluss. In der anderen Richtung, zum Scheidtmanntor, stand links ein Wohnhaus, danach Annemarie´s Kneipe dann stand man schon auf der Hauptstraße oder aber auf den Straßenbahn-gleisen die hier ganz dicht an der Kneipe vorbei führten. Ich hab mal aus meiner Erinnerung versucht eine Skizze, so gut es ging, anzufertigen. Hoffentlich liege ich damit nicht zu sehr daneben.

Aber zurück zu Nr. 14, auf der Skizze mit der Nr. 10 bezeichnet, das Zimmer der „Jungens“ lag ein paar Stufen über dem Flur, dem Estrich wie wir in nannten weil er einen Zementfußboden hatte, der wohl gute 20-25 m² Grundfläche hatte. Neben dem „Spülstein“ stand dort ein Kohleherd mit Backofen zu dem sich später ein Gasherd gesellte. Ein altes Sofa, Tisch und Stühle, eine Anrichte für Geschirr und Besteck, Also alles was zum Kochen und besonders zum Einkochen, den es gab einen großen Garten, benötigt wurde. In einer Ecke die Bottichwaschmaschine mit Wassermotor obendrauf. Außerdem wurde hier die große Zinkbadewanne aufgestellt, die sowohl Waschtagen wie auch an den Badetagen benötigt wurde. Gegenüber der Eingangstür führte eine Treppe in die „richtige“ Küche, die etwa 1,50m über dem Estrich lag, mit Tisch und Stühlen, Küchenschrank und dem Kohleherd. Daran schloss sich ein Schlafzimmer, das ein Eckzimmer war, an, daneben ein kleines Zimmer, dann das Wohn- und Esszimmer das wieder ein Eckzimmer war. Von diesem Zimmer ging die zweite Treppe wieder auf den Estrich hinunter. Vom Eingang aus hinten rechts ging es über eine Treppe in den Keller, dessen Tonnengewölbe sich über die ganze Breite des Gebäudes erstreckte. In verschiedenen Abteilungen wurden vorne die Kohlen gelagert, eine große Kartoffelhorde und Regale mit Eingekochtem waren auf der anderen Seite unter gebracht. Über der Kellertreppe war die Holzstiege zum Dachboden eingebaut. Dort hatten die „Mädchen“ auf der linken Seite ihre Kammer, die rechte Seite wurde später für meine Mutter, mich und meinen „neuen“ Vater ausgebaut.

Ich kann mich nicht erinnern mich gelangweilt zu haben. Augenommen natürlich die Zeiten in denen ich, selbstverständlich völlig Grundlos, Hausarrest hatte. Entweder waren wir zusammen im Garten am Christinenweg, oder ich war mit ein paar „Kumpels“ unterwegs. Brinkerplatz, Kirchspiel, Friedhof und Laurentiusberg luden zum Versteck spielen ein, der Bahnhofsvorplatz und Ruhrwiesen zum Drachen steigen zu lassen. Das „Eickenscheidter Büschken“ war ein kleines Wäldchen mit einem Schilfbewachsenen Teich darin. Es war der ideale Platz um Kaulquappen, Frösche oder Stieglitze zu fangen oder einfach nur zu plantschen. Oft lagerte hier auch „fahrendes Volk“. Immer wenn die Wagen zwischen den Büschen standen bekamen wir in der Klasse Zuwachs. Die Kinder, wenn welche dabei waren, mussten während des Aufenthaltes die Schule besuchen. Ein Grund mehr immer wieder in das Gehölz zu rennen, unter Missbilligung der Großen, die allerlei Krankheiten, Gefahr von Lausbefall und sonstige Übel als Grund anführten. Die Verbote halfen jedoch nie.

Es war ein tolles Haus, in dem ich viele glückliche Jahre verbracht habe. Es bot alles was ein altes Haus bieten konnte, die Angst im dunklen Keller genauso das Abenteuer Dachboden der nach und nach Schätze verschiedenster Art zutage brachte. Nachdem ich mit meinen Eltern nach Essen gezogen war haben mir lange die knarrenden Dielen und die klappernden Läden gefehlt, ebenso wie die wohlige Wärme der Kohleöfen, die Eisblumen an den Fenstern bei Frost und das Prasseln von Regeltropfen oder Hagelkörnern auf dem Dach das an manchen Stellen mit Wellblech abdeckt war. Das monotone Geräusch der Wassertropfen die auf dem Dachboden in alle möglichen, eilig aufgestellten, Behälter fielen, habe ich allerdings nicht vermisst. Warum ich in dem alten Haus nie richtig gefroren habe weiß ich bis heute nicht. Für die Fläche des Hauses dessen Mauern aus Lehmfachwerk bestanden waren die paar Kohleöfen doch eigentlich zu wenig. Klar, es gab Wärmflaschen oder Steinhägerflaschen die mit heißem Sand gefüllt worden waren. Außerdem wurden zum Anwärmen oft Holzklötze, die vorher im Backofen erhitzt worden waren, in ein Tuch eingeschlagen und zum Vorwärmen in die Betten gelegt, es gab auch einige knackige Winter. Vielleicht war es nur die Gewohnheit oder wir haben uns einfach nur wärmer angezogen. Jedenfalls war in meine Kindheit „allet toffte“.

Bilder vom Röpergraben und Scheidtmanntor

Am Scheidtmanntor

 

Schmiede Klinkhammer am Scheidtmanntor
Schmiede Klinkhammer am Scheidtmanntor

Wenn ich heute an meine Kindheit und das Scheidtmanntor zurückdenke kann ich mich nicht wirklich erinnern wo ich mich wohl häufiger aufgehalten habe. Beim Schuster oder in und an der Schmiede. Klar, da gab es noch mehr am Scheidtmanntor, das kaputte Haus eben dem Schuster, in dem man so schön stöbern und verstecken spielen konnte, in dem sich angeblich öfter „Landstreicher“ versteckten, indem wir auch mal einen verrosteten – wie sich dann herausstellte – Trommelrevolver fanden, der, nachdem der Fund heraus gekommen war, umgehend in der Mülltonne verschwand. Die Straßenbahnschienen auf die Nägel gelegt werden konnten, die nach dem überfahren durch die Bahn platt und heiß waren. Dann der kleine Vorplatz, den der tiefer gelegene Eingang in das Haus am Eingang zum Röpergraben bildete wo wir unsere Drachen zusammen leimten. Natürlich der Hundezwinger „Von Münchhausen“ in dessen umzäunten Gehege neben den ausgewachsenen gefleckten Doggen oft auch Welpen und – wie seltsam – auch Meerschweinchen zu sehen waren. Nein, ich entscheide mich praktischerweise für beide. Im Winter für die Schusterei, wo in der winzigen Werkstatt kaum Platz für den Kunden war wenn er abgelaufene Schuhe brachte oder das reparierte Schuhwerk Abholen kam. Leder oder Gummi? Mit Eisen oder ohne? Am Absatz reichen nochmal Ecken! Dazu ein paar Worte tägliches Einerlei. Beim Abholen ein ähnlicher Ablauf. Sätze wie „das ist ja wieder Gut geworden, Meister!“ oder „Meinen Sie es würden beim nächsten Mal noch mal hin bekommen?“ wurden mit einem freundlichen Danke oder eine „Muss man sehen“ bedacht, dem ein weiteres Danke für das Entgelt folgte. Danach wieder stille, der Meister hockte auf seinem Schemel hinter der winzigen Werkbank, hatte wieder das Dreibein auf seinem Knie gestellt das nur von einem Stoffpäckchen, der dicken Lederschürze und den Cordhosen – wir sagten damals Manchesterhosen – vor den Schlägen des Schusterhammers geschützt wurde wenn die kleinen Holzstifte oder auch kleine Schusternägel in Sohle oder Absatz geschlagen wurden. Der Geruch vom Schusterleim hatte sich in die ganze Einrichtung gekrallt und in Verbindung mit dem Duft von Leder und dem strengen Geruch von abgeschliffenem Sohlengummi ergab sich ein ganz eigenes Aroma. Wenn dann im Winter der Kanonenofen bullerte über und neben dem allerlei Mobiles sich in der aufsteigenden Hitze bewegten stand ich zwischen der Schuhpresse und dem Ofen eingeklemmt in der Ecke und schaute dem Meister andächtig zu wie er sich mühte aus den oft ausgetretenen Latschen wieder ansehnliches Schuhwerk zu machen. Anders beim Schmied. Hier war es immer Laut, egal ob Schmied und Geselle dem Amboss die Musik entlockten oder ob laute Befehle den Gesellen zur Eile riefen damit das Eisen schnell genug auf die den Huf des nervösen Pferdes kam. Wie laut des Geschreis von Schmied und Pferdebesitzer wenn das Pferd auskeilte, das Eisen zu Boden gefallen war oder die Farbe des Metalls nicht stimmte. Oft kam ich in solchen Tagen mit Ruß beschmiert und halb Taub nach Hause, hatte aber angeblich glänzende Augen. Schuster oder Schmied bin ich trotz aller Begeisterung dennoch nicht geworden.

 

Bilder vom Scheidtmanntor